Ein paar Worte zu meiner Sichtweise von Psychotherapie
Obwohl
sich Psychotherapie seit Inkrafttreten des Psychotherapeutengesetzes
(1999) mittlerweile ziemlich fest im deutschen Gesundheitswesen
etabliert hat und die Akzeptanz, sich Hilfe bei psychischen Problemen
durch Psychotherapeuten zu suchen, in der Bevölkerung sicherlich
sehr gestiegen ist, gibt es doch keineswegs einheitliche Sichtweisen
davon, wie Psychotherapie hilft und wirkt.
Da
ist es gut, wenn PatientInnen oder Eltern schon vor der
Kontaktaufnahme zu einem Psychotherapeuten wissen, womit sie es
voraussichtlich zu tun haben werden.
Mehr
als bei den meisten anderen Berufen spielen bei Psychotherapeuten
persönliche Prägungen und Sichtweisen eine maßgebliche Rolle und
beeinflussen die Art, Gespräche zu gestalten, Interventionen zu
planen und durchzuführen sowie Entscheidungen zu treffen.
Deshalb
ist es mir wichtig, transparent zu machen, was mich stark beeinflusst
hat und auf welcher Basis ich Psychotherapie betreibe.
Im
täglichen Tun versuche ich heute, die von Klaus Grawe insbesondere
in seinem Buch „Psychologische Psychotherapie“ dargelegten
Wirkfaktoren einer Allgemeinen Psychotherapie zu beachten und zu
verwirklichen. Dies sind:
-
Beziehungsgestaltung: Ich versuche, eine auf gegenseitiger
Wertschätzung, Akzeptanz des jeweiligen Lebensentwurfs,
Freundlichkeit und Offenheit aufbauende Beziehung zu Eltern und
Kindern aufzubauen. Die therapeutische Beziehung zu Kindern ist dabei
vor allem dadurch gekennzeichnet und unterscheidet sich von der
Haltung mancher Erwachsener, dass ich Einstellungen, Sichtweisen und
Gedanken von Kindern als eigenständig ernst nehme, mir dabei aber
auch gleichzeitig bewusst bin, dass der Altersabstand, der mich als
Erwachsenen vom Kind trennt, die Verantwortung zur Führung mit sich
bringt. Die therapeutische Beziehung wird so gestaltet, dass sich
Eltern wie Kinder bei mir wohl, ja vielleicht sogar „wie zuhause“
fühlen sollen.
-
Ressourcenaktivierung: So, wie ein aktiviertes, gesundes Immunsystem
mit vielen Krankheitserregern im Körper fertig zu werden vermag, so
können psychische Probleme am besten angegangen werden, indem die
jeweils eigenen Ressourcen des Individuums aktiviert werden. Kürzlich
habe ich diesbezüglich eine „Sternstunde“ in einer meiner
Gruppentherapien erlebt: Vier Jugendliche erzählten sich
nacheinander ausführlich über die jeweils von ihnen präferierte
Sportart. Ich hatte bis dahin keinerlei Ahnung davon, welche
unterschiedlichen Arten es gibt, den Tischtennisball anzuschlagen,
welche Übungen ein Torwart beim Training durchführt, welche
Bewegungen zum breakdance gehören und so fort. Mehr und mehr wurde
mir deutlich, was Ressourcenaktivierung, wirklich ernst genommen,
letztlich heißen muss: als Therapeut muss ich das professionelle
Machtgefälle, das zwischen dem „starken“ Therapeuten und dem
„schwachen“ Patienten implizit besteht, stets zu überwinden
versuchen, in dem ich die Fähigkeiten bei meinen Patienten
herausarbeite und entdecke, die ihn / sie so einzigartig machen. Ich
verlasse dazu meine Position des mächtigen Helfers, der um Rat
gefragt wird, und spüre mehr und mehr, über welche besonderen
Schätze mein Gegenüber verfügt, die mir fehlen.
-
Emotionale Aktivierung: Auch wenn es nicht immer gelingt – mein
Ziel ist doch stets, in der Therapie intensive Gefühle erleben zu
lassen, weil nur dann gewährleistet ist, dass Übungen und
Erkenntnisse wirklich ankommen. In der Therapiestunde soll gelacht
und geweint werden, aber vor allem auch Wut hat ihren Platz. In der
Gruppe gelingt das oft bei Rollenspielen. Da kommt es schon mal vor,
dass sich Kinder anschreien und sogar beleidigen. Im Sinne der
Aktivierung von Emotionen kann das erwünscht sein. Im Zweifelsfall
lasse ich lieber mehr als weniger Gefühle in der Therapie zu.
-
Problemaktualisierung und Problembewältigung: Was nützt es, wenn
junge Menschen zu mir Beziehung aufnehmen und etwas über ihre
Schätze erfahren, in der Therapie Gefühle zeigen, aber Probleme wie
Streit mit anderen, schlechte Schulnoten doch unverändert fort
bestehen? Es muss also gleichermaßen Ziel jeder Therapiestunde sein,
dass die jeweiligen Probleme aktualisiert werden, d. h. in der
Therapiestunde greifbar im Raum stehen. Auch dies bedingt, dass ich
mittlerweile hauptsächlich gruppentherapeutisch arbeite, weil sich
im Zusammensein mit anderen Probleme oft leichter und rascher
aktualisieren lassen als in der Einzeltherapie. Therapie muss aber
auch Handwerkszeug geben, damit sich die aktualisierten Probleme, die
sich ja außerhalb der Therapie ungleich stärker zeigen, auch lösen
lassen. Diese Erwartungen stellen Kinder, Jugendliche und Eltern aus
meiner Sicht zu Recht. Und ich versuche, diese auch zu erfüllen,
indem ich konkrete Vorschläge mache, was im jeweiligen Fall zu tun
ist und die Umsetzung begleite. In dieser Hinsicht bin ich sicherlich
auch stark verhaltenstherapeutisch geprägt.
Meine
katholische Sozialisation hat bei mir ein christliches Menschenbild
geprägt. In meinem Leben habe ich Begleitung durch spirituell
erfahrene Menschen immer wieder als hilfreich erlebt. Dies macht es wohl
aus, dass ich jede Begegnung mit Patienten als eine Begleitung auf
einem Stück Lebensweg betrachte. Die christliche Prägung lässt
mich psychische Störungen als Sinn- und Lebenskrisen verstehen, für
die eine am Krankheitsbegriff orientierte Sichtweise oft
unzureichend, zumindest aber verkürzt erscheint.
Darüber hinaus hoffe ich, dass mir meine Auffassung und Übung von ZEN-Meditation hilft, meine spirituelle Haltung frei von dogmatisch einseitiger Weltanschauung zu bewahren, ohne meine eigenen Sichtweisen anderen aufzudrängen.
In
meiner Erstausbildung bin ich Musiklehrer. Seit früher Kindheit bis
heute habe ich viel und oft Musik gemacht. In der Musik finde ich
Botschaften, die sich einer Erfassung mit Worten oft entziehen. In
der Therapie erlebe ich oft, dass sich die entscheidenden Momente
nicht mit Worten beschreiben lassen. Manchmal misstraue ich dem
gesprochenen Wort sogar. Oft habe ich erlebt, dass sich Therapien
gerade gegensätzlich zum gesprochenen Wort entwickelt haben. Mir
sind nonverbale Ausdrucksformen – Bilder, Gebilde aus Knete,
improvisierte Musik und Schweigen – wichtig. Gelungene Therapien
brauchen beides – Worte und Unsagbares.